Schwingendes Holz

Portrait Johannes GottwaldDas Leben eines Baumes schwingt zwischen Ruhe und Sturm, Sommer und Winter und in seinen Jahresringen lesen wir vom Standort, von den dürren Jahren, den dunklen und den hellen Sommern. Diese individuellen Züge des Holzes, seine Maserungen, seine Farben macht sich der Bildhauer Johannes Gottwald zunutze. In seiner langjährigen Arbeit mit Wald und Wurzeln, mit Stamm und Stückholz auf der Suche nach neuen Möglichkeiten des kreativen Ausdrucks entstanden neben "motivierten" Auftragsarbeiten auch die konkreten, freien Holzskulpturen, darunter die Holzbilder.

Das sind Wandskulpturen, Holzreliefs, die mit leichtem textilen Ausdruck doch aus massivem Holz gearbeitet werden und einen neuen Einblick ins vertraute Holz bieten. Eine Arbeit schwingend zwischen kontemplativer Betrachtung des Holzes und technischem Experiment, zwischen Bildkonzeption und Naturereignis.

In der Galerie Klosterschule zeigte der Herrmannsdorfer Bildhauer Johannes Gottwald vor allem eine Reihe neuer Holzbilder mit denen er im "Rhythmus des Waldes" wieder einen neuen Ton getroffen hat.

Auszug aus einem Artikel der Ebersberger SZ vom 13.03.07:

Starr und doch bewegt
Der Herrmannsdorfer Bildhauer Johannes Gottwald zeigt in der Glonner Klosterschule neue Holzreliefs.

… Begeistert zeigte sich ein Besucher von der verspielten Komposition von Gottwalds Arbeiten, von ihrer luftigen Wirkung. Als beruhigend und gleichzeitig spannend wurden sie von anderen empfunden. Bewundert wurden auch die unendlichen Möglichkeiten, die das Spiel mit der Maserung und der Holzfarbe ergibt.
Ein überdimensioniertes Relief fiel besonders auf: Es passe mit dem Ausdruck eines sakralen Werkes besonders gut in den ehemaligen Kirchenraum der Glonner Klosterschule.

Leicht gekürzte Version des Eröffnungstextes von Gabriele Kunkel zur Vernissage am 08.03.07:

Gottwalds neue Holzreliefs
Ein „Waldportrait“ rhythmisch geschwungen

Sie hängen an der Wand, sind aber keine Gemälde auf Leinwand mit Rahmen.
Sie zeigen Ornamente, sind aber dennoch keine Vorhänge.
Sie werfen Wellen, allerdings gibt es hier gar keinen Wind.
Was haben wir vor uns?

Diese Arbeiten hat der in Glonn ansässige Künstler Johannes Gottwald in Holz angefertigt. Verschiedenste Hölzer sind Schicht auf Schicht gepresst und bilden einen Grundstock. Der Schnitt in Form von Wellen bringt geometrische Ornamente zum Vorschein. Diese gewellten Streifen werden gleichsam wie Lamellen einer geschlossenen Jalousie zur Fläche angeordnet. Der Umriss einer derartigen Anordnung hat meist die Form eines unregelmäßigen Rechtecks, kann aber auch die Form eines Hemdes annehmen.

Ob die Linien der Lamellen nun vertikal oder horizontal verlaufen entscheidet der Künstler bei der Hängung nach ästhetischen Gesichtspunkten. Was zählt sind die Strukturen und Kontraste als Resultat der unterschiedlich eingesetzten farbigen Hölzer.
Wir sehen faktisch und haptisch ein farbiges Holzrelief.

Die strenge Geometrie und die Verarbeitung stehen im Zeichen der konkreten Kunst, dessen Begriff Theo van Doesburg 1924 als Gegenbegriff zur abstrakten Kunst einführte. Hat Kandinsky die Kunst über das Experiment vom Abbildhaften durch immer mehr Entfernen von real erkennbaren Gegenständen zur „Abstraktion“ geführt, geht die konkrete Kunst folgendermaßen vor, wie Max Bill 1936 beschreibt:

„Konkrete gestaltung ist jene gestaltung, welche aus ihren eigenen mitteln und gesetzen entsteht, ohne diese aus äußeren naturerscheinungen ableiten oder entlehnen zu müssen.“

Noch einmal Max Bill. Der spätere Begründer der Hochschule für Gestaltung in Ulm formuliert 1947 in der Einleitung zur Ausstellung „Züricher konkrete Kunst“:

„konkrete kunst ist in ihrer letzten konsequenz der reine ausdruck von harmonischem maß und gesetz. sie ordnet systeme und gibt mit künstlerischen mitteln diesen ordnungen das leben.“

Gottwald setzt sich seit etwa zwei Jahren intensiv mit dem Thema des Holzreliefs auseinander. Er schafft wie die Künstler der konkreten Kunst so genannte „Variationen“. Sie werden in dieser Ausstellung erstmals als geschlossene Gruppe gezeigt.

Neben wenigen früheren Arbeiten, den Stelen, liegt ein besonderer Akzent dieser Ausstellung auf einem Film aus seiner Studienzeit an der Akademie in München von 1991/92. Es ist ein Super-8-Trickfilm mit dem Titel „Der Rhythmus des Waldes.“ Er dauert acht Minuten.

Ein lebender Baum ist normalerweise verwurzelt, hat seinen fixen Standpunkt und wächst im besten Falle in die Höhe. Wir können die Bewegung des Wachsens mit unserem bloßen Auge nicht nachvollziehen. Wir können höchstens die Jahresringe lesen, wenn der Baum gefällt ist. Sie verraten uns die dürren und die fetten Jahre, den dunklen oder hellen Sommer.

Gottwald zeigt in seinem Film einen Baumstamm und platziert ihn in die Stadtlandschaft. Zunächst sieht man das Bild eines glatten Baumstamms, der auf einem Bahnsteig an einem Eisengestänge lehnt. Einige Minuten später sieht man den gleichen Baumstamm an einer rückseitigen Autohaube. Die einst glatte Rinde verwandelt sich in eine Zickzackform. Wie ein Lebewesen scheint der Baum zu pulsieren. Wir sehen eine Metamorphose von der Naturform in ein geometrisches Ornament.

Eine Metamorphose, die dem Künstler gelingt, indem er den Stamm in dutzenden von Scheiben zersägt, Aufnahme für Aufnahme die Scheiben von Hand verschiebt im ständigen Wechsel von geschlossener Form zur extremen Zickzackform. Wir haben kinetische Kunst vor uns, die exemplarisch an einem einzigen Baum den „Rhythmus des Waldes“ beschreibt.

Wenden wir uns wieder den Holzreliefs zu. Es fällt auf, dass der Künstler hier ganz ähnlich wie beim Filmen vorgeht. Wir haben zwar kein laufendes Bild mehr vor uns, dafür ein Standbild, das uns den Einblick in den „Lebensfilm“ eines Waldes gewährt. Aufgeblättert ist immer nur gerade das letzte, das vorderste, oberste Bild eines Baumes mit den „individuellen“ Zügen des Holzes, seine Maserung und seine Farbe und das in einer geordneten Vielzahl! Ein „Gruppenportrait“ von Bäumen, oder anders ausgedrückt ein „Waldportrait“.

Was haben wir vor uns, fragten wir eingangs. Ich fühlte mich in der Situation des antiken Künstlers Zeuxis. Er versuchte den Vorhang vor dem Gemälde des Malerkollegen Parrhasius zu lüften und scheiterte daran, weil der Vorhang gemalt war. Kein Trompe-l’oeil! Keine Augentäuschung! Im Kontext mit Gottwalds früher Filmarbeit, sehen wir jetzt konkrete Kunst: ein „Waldporträt“ rhythmisch geschwungen.

Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, Braunschweig 1991, S. 42f.:
„Zeuxis malte im Wettstreit mit Parrhasius so naturgetreue Trauben, dass Vögel herbei flogen, um an ihnen zu picken. Daraufhin stellte Parrhasius seinem Rivalen ein Gemälde vor, auf dem ein leinener Vorhang zu sehen war. Als Zeuxis ungeduldig bat, diesen doch endlich beiseite zu schieben, um das sich vermeintlich dahinter befindliche Bild zu betrachten, hatte Parrhasius den Sieg sicher, da er es geschafft hatte, Zeuxis zu täuschen. Der Vorhang war nämlich gemalt.“ (Plinius, Nat. Hist. XXXV, 64)